Schlafende Helden



Jacob Grimm (1785-1863)
Wilhelm Grimm (1786-1859)

Friedrich Rotbart auf dem Kyffhäuser

Von diesem Kaiser gehen viele sagen im Schwange. Er soll noch nicht tot sein, sondern bis zum Jüngsten Tage leben, auch kein rechter Kaiser nach ihm mehr aufgekommen. Bis dahin sitzt er verhohlen in dem Berg Kyffhausen, und wann er hervorkommt, wird er seinen Schild hängen an einen dürren Baum, davon wird der Baum grünen und eine bessere Zeit werden. Zuweilen redet er mit den Leuten, die in den Berg kommen, zuweilen läßt er sich auswärts sehen. Gewöhnlich sitzt er auf der Bank an dem runden steinernen Tisch, hält den Kopf in die Hand und schläft, mit dem Haupt nickt er stetig und zwinkert mit den Augen. Der Bart ist ihm groß gewachsen, nach einigen durch den steinernen Tisch, nach andern um den Tisch herum, dergestalt, daß er dreimal um die Rundung reichen muß bis zu seinem Aufwachen, jetzt aber geht er erst zweimal darum.

Ein Bauer, der 1669 aus dem Dorf Reblingen Korn nach Nordhausen fahren wollte, wurde von einem kleinen Männchen in den Berg geführt, mußte sein Korn ausschütten und sich dafür die Säcke mit Gold füllen. Dieser sah nun den Kaiser sitzen, aber ganz unbeweglich.

Auch einen Schäfer, der einstmals ein Lied gepfiffen, das dem Kaiser wohlgefallen, führte ein Zwerg hinein, da stand der Kaiser auf und fragte: "Fliegen die Raben noch um den Berg?" Und auf die Bejahung des Schäfers rief er: "Nun muß ich noch hundert Jahre länger schlafen."


Kaiser Karl im Untersberg

In dem Wunderberg sitzt außer andern fürstlichen und vornehmen Herren auch Kaiser Karl, mit goldner Krone auf dem Haupt und seinen Zepter in der Hand. Auf dem großen Walserfeld wurde er verzückt und hat noch ganz seine Gestalt behalten, wie er sie auf der zeitlichen Welt gehabt. Sein Bart ist grau und lang gewachsen und bedeckt ihm das goldne Bruststück seiner Kleidung ganz und gar. An Fest- und Ehrentagen wird der Bart auf zwei Teile geteilt, einer liegt auf der rechten Seite, der andere auf der linken, mit einem kostbaren Perlenband umwunden. Der Kaiser hat ein scharfes und tiefsinniges Angesicht und erzeigt sich freundlich und gemeinschaftlich gegen all Untergebenen, die da mit ihm auf einer schönen Wiese hin und her gehen. Warum er sich da aufhält und was seines Tuns ist, weiß niemand und steht bei den Geheimnissen Gottes.

Franz Sartori erzählt, daß Kaiser Karl V., nach andern aber Friedrich an einem Tisch sitzt, um den sein Bart schon mehr denn zweimal herumgewachsen ist. Sowie der Bart zum drittenmal die letzte Ecke desselben erreicht haben wird, tritt dieser Welt letzte Zeit ein. Der Antichrist erscheint, auf den Feldern von Wals kommt es zur Schlacht, die Engelposaunen ertönen, und der Jüngste Tag ist angebrochen.


Der Hirt auf dem Kyffhäuser

Etliche sprechen, daß bei Frankenhausen in Thüringen ein Berg liege, darin Kaiser Friedrich seine Wohnung habe und vielmal gesehen worden. Ein Schafhirt, der auf dem Berge hütete und die Sage gehört hatte, fing an, auf seiner Sackpfeife zu pfeifen, und als er meinte, er habe ein gutes Hofrecht gemacht, rief er überlaut: "Kaiser Friedrich, das sei dir geschenkt!" Da soll sich der Kaiser hervorgetan, dem Schäfer offenbart und zu ihm gesprochen haben: "Gott grüß dich, Männlein, wem zu Ehren hast du gepfiffen?" -- "Dem Kaiser Friedrich", antwortete der Schäfer. Der Kaiser sprach weiter: "Hast du das getan, so komm mit mir, er soll dir darum lohnen." Der Hirt sagte: "Ich darf nicht von den Schafen gehen." Der Kaiser aber antwortete: "Folge mir nach, den Schafen soll kein Schaden geschehen." Der Hirt folgte ihm, und der Kaiser Friedrich nahm ihn bei der Hand und führte ihn nicht weit von den Schafen zu einem Loch in den Berg hinein. Sie kamen zu einer eisernen Tür, die alsbald aufging. Nun zeigte sich ein schöner, großer Saal, darin waren viel Herren und tapfre Diener, die ihm Ehre erzeigten. Nachfolgends erwiese sich der Kaiser auch freundlich gegen ihn und fragte, was er für einen Lohn begehre, daß er ihm gepfiffen? Der Hirt antwortete; "Keinen." Da sprach aber der Kaiser: "Geh hin und nimm von meinem güldnen Handfaß den einen Fuß zum Lohn." Da tat der Schäfer, wie ihm befohlen ward, und wollte darauf von dannen scheiden, da zeigte ihm der Kaiser noch viel selstame Waffen, Harnische, Schwerter und Büchsen, und sprach, er sollte den Leuten sagen, daß er mit diesen Waffen das Heilige Grab gewinnen werde. Hierauf ließ er den Hirt wieder hinausgeleiten, der nahm den Fuß mit, brachte ihn den andern Tag zu einem Goldschmied, der ihn für echtes Gold anerkannte und ihm abkaufte.


Die drei Telle

In der wilden Berggegend der Schweiz um den Waldstättersee ist nach dem Glauben der Leute und Hirten eine Felskluft, worin die drei Befreier des Landes, die drei Tellen genannt, schlafen. Sie sind mit ihrer uralten Kleidung angetan und werden wieder auferstehen und rettend hervorgehen, wann die Zeit der Not fürs Vaterland kommt. Aber der Zugang der Höhle ist nur für den glücklichen Finder.

Ein Hirtenjunge erzählte folgendes einem Reisenden: Sein Vater, eine verlaufene Ziege in den Felsenschluchten suchend, sei in diese Höhle gekommen, und gleich, wie er gemerkt, daß die drei drin schlafenden Mäner die drei Tellen seien, habe auf einmal der alte eigentliche Tell sich aufgerichtet und gefragt: "Welche Zeit ist's auf der Welt?" und auf des Hirten erschrockene Antwort: "Es ist hoch am Mittag", gesprochen: "Es ist noch nicht an der Zeit, daß wir kommen", und sei darauf wieder eingeschlafen. Der Vater, als er mit seinen Gesellen, die Telle für die Not des Vaterlands zu wecken, nachher oft die Höhle gesucht, habe sie doch nie wiederfinden können.


Die sieben schlafenden Männer in der Höhle

In ganz Deutschland weiß man folgende wunderbare Begebenheit: An der äußersten Meeresküste liegt unter einem ragenden Felsen eine Höhle, in der, man kann nicht mehr sagen seit welcher Zeit, langeher sieben Männer schlafen; ihre Leiber bleiben unverwest, ihre Kleider verschleißen nicht, und das Volk verehrt sie hoch. Der Tracht nach scheinen sie Römer zu sein. Einen reizte die Begierde, daß er der Schläfer einem das Gewand ausziehen wollte; alsbald erdorrten ihm die Arme, und die Leute erschraken so, daß niemand näher zu treten wagte. Die Vorsehung bewahrt sie zu einem heiligen Zweck auf, und dereinst sollen sie vielleicht aufstehen und den heidnischen Völkern die heilige Lehre verkündigen.



Joseph von Eichendorff (1788-1857)

Auf einer Burg

Eingeschlafen auf der Lauer
Oben ist der alte Ritter;
Drüber gehen Regenschauer,
Und der Wald rauscht durch das Gitter.

Eingewachsen Bart und Haare,
Und versteinert Brust und Krause,
Sitzt er viele hundert Jahre
Oben in der stillen Klause.

 

Draußen ist es still und friedlich,
Alle sind ins Tal gezogen,
Waldesvögel einsam singen
In den leeren Fensterbogen.

Eine Hochzeit fährt da unten
Auf dem Rhein im Sonnenscheine,
Musikanten spielen munter,
Und die schöne Braut, die weinet.

 

 



Heinrich Heine (1797-1856)

Deutschland ein Wintermärchen

Kaput XIV
Ein feuchter Wind, ein kahles Land,
Die Chaise wackelte im Schlamme;
Doch singt es und klingt es in meinem Gemüt:
"Sonne, du klagende Flamme!"
Das ist der Schlußreim des alten Lieds,
Das oft meine Amme gesungen --
"Sonne, du klagende Flamme!" Das hat
Wie Waldhornruf geklungen.
Es kommt im Lied ein Mörder vor,
Der lebt' in Lust und Freude;
Man findet ihn endlich im Walde gehenkt,
An einer grauen Weide.
Des Mörders Todesurteil war
Genagelt am Weidenstamme;
Das haben die Rächer der Feme getan --
Sonne, du klagende Flamme!
Die Sonne war Kläger, sie hatte bewirkt,
Daß man den Mörder verdamme.
Ottilie hatte sterbend geschrien:
Sonne, du klagende Flamme!
Und denk ich des Liedes, so denk ich auch
Der Amme, der lieben Alten;
Ich sehe wieder ihr braunes Gesicht,
Mit allen Runzeln und Falten.
Sie war geboren im Münsterland,
Und wußte in großer Menge
Gespenstergeschichten, grausenhaft,
Und Märchen und Volksgesänge.
Wie pochte mein Herz, wenn die alte Frau
Von der Königstochter erzählte,
Die einsam auf der Heide saß
Und die goldenen Haare strählte.
Die Gänse mußte sie hüten dort
Als Gänsemagd, und trieb sie
Am Abend die Gänse wieder durchs Tor,
Gar traurig stehen blieb sie.
Denn angenagelt über dem Tor
Sah sie ein Roßhaupt ragen,
Das war der Kopf deds armen Pferds,
Das sie in die Fremde getragen.
Die Königstochter seufzte tief:
"O Falada, daß du hangest!"
Der Pferdekopf herunter rief:
"O wehe, daß du gangest!"
Die Königstochter seufzte tief:
"Wenn das meine Mutter wüßte!"
Der Pferdekopf herunter rief:
"Ihr Herze brechen müßte!"
Mit stockendem Atem horchte ich hin,
Wenn die Alte ernster und leiser
Zu sprechen begann und vom Rotbart sprach,
Von unserem heimlichen Kaiser.
Sie hat mir versichert, er sei nicht tot,
Wie da glauben die Gelehrten,
Er hause versteckt in einem Berg
Mit seinen Waffengefährten.
Kyffhäuser ist der Berg genannt,
Und drinnen ist eine Höhle;
Die Ampeln erhellen so geisterhaft
Die hochgewölbten Säle.
Ein Marstall ist der erste Saal,
Und dorten kann man sehen
Viel tausend Pferde, blankgeschirrt,
Die an den Krippen stehen.
Sie sind gesattelt und gezäumt,
Jedoch von diesen Rossen
Kein einziges wiehert, kein einziges stampft,
Sind still, wie aus Eisen gegossen.
Im zweiten Saale, auf der Streu,
Sieht man Soldaten liegen,
Viel tausend Soldaten bärtiges Volk,
Mit kriegerisch trotzigen Zügen.
Sie sind gerüstet von Kopf bis Fuß,
Doch alle diese Braven,
Sie rühren sich nicht, bewegen sich nicht,
Sie liegen fest und schlafen.
Hochaufgestapelt im dritten Saal
Sind Schwerter, Streitäxte, Speere,
Harnische, Helme, von Silber und Stahl,
Altfränkische Feuergewehre.
Sehr wenig Kanonen, jedoch genug,
Um eine Trophäe zu bilden.
Hoch ragt daraus eine Fahne hervor,
Die Farbe ist schwarz-rot-gülden.
Der Kaiser bewohnt den vierten Saal.
Schon seit Jahrhunderten sitzt er
Auf steinernem Stuhl am steinernen Tisch,
Das Haupt auf den Armen stützt er.
Sein Bart, der bis zur Erde wuchs,
Ist rot wie Feuerflammen,
Zuweilen zwinkert er mit dem Aug',
Zieht manchmal die Brauen Zusammen.
Schläft er oder denkt er nach?
Man kann's nicht genau ermitteln;
Doch wenn die rechte Stunde kommt,
Wird er gewaltig sich rütteln.
Die gute Fahne ergreift er dann
Und ruft: "Zu Pferd! zu Pferde!"
Sein reisiges Volk erwacht und springt
Laut rasselnd empor von der Erde
Ein jeder schwingt sich auf sein Roß
Das wiehert und stampft mit den Hufen!
Sie reiten hinaus in die klirrende Welt,
Und die Trompeten rufen.
Sie reiten gut, sie schlagen gut,
Sie haben ausgeschlafen.
Der Kaiser hält ein strenges Gericht,
Er will die Mörder bestrafen --
Die Mörder, die gemeuchelt einst
Die teure, wundersame,
Goldlockigte Jungfrau Germania --
Sonne, du klagende Flamme!
Wohl mancher, der sich geborgen glaubt,
Und lachend auf seinem Schloß saß,
Er wird nicht entgehen dem rächenden Strang,
Dem Zorne Barbarossas! -- -- --
Wie klingen sie lieblich, wie klingen sie süß,
Die Märchen der alten Amme!
Mein abergläubisches Herze jauchzt:
"Sonne, du klagende Flamme!"
Kaput XV
Ein feiner Regen prickelt herab,
Eiskalt, wie Nähnadelspitzen.
Die Pferde bewegen traurig den Schwanz,
Sie waten im Kot und schwitzen.
Der Postillon stößt in sein Horn,
Ich kenne das alte Getute--
"Es reiten drei Rieter zum Tor hinaus!"
Es wird mir so dämmrig zumute.
Mich schläferte und ich entschlief,
Und siehe! mir träumte am Ende,
Daß ich mich in dem Wunderberg
Beim Kaiser Rotbart befände.
Er saß nicht mehr auf steinernem Stuhl,
Am steinernen Tisch, wie ein Steinbild;
Auch sah er nicht so ehrwürdig aus,
Wie man sich gewöhnlich einbild't.
Er watschelte durch die Säle herum
Mit mir im trautem Geschwätze.
Er zeigte wie ein Antiquar
Mir seine Kuriosa und Schätze.
Im Saale der Waffen erklärte er mir,
Wie man sich der Kolben bediene,
Von einigen Schwertern berieb er den Rost
Mit seinem Hermeline.
Er nahm ein Pfauenwedel zur Hand,
Und reinigte vom Staube
Gar manche Harnisch, gar manchen Helm,
Auch manche Pickelhaube.
Die Fahne stäubte er gleichfalls ab,
Und er sprach: "Mein größter Stolz ist,
Daß noch keine Motte die Seide zerfraß,
Und auch kein Wurm im Holz ist."
Und als wir kamen in den Saal,
Wo schlafend am Boden liegen
Viel tausend Krieger, kampfbereit,
Der Alte sprach mit Vergnügen:
"Hier müssen wir leiser reden und gehn,
Damit wir nicht wecken die Leute;
Wieder verflossen sind hundert Jahr',
Und Löhnungstag ist heute."
Und siehe! der Kaiser nahte sich sacht
Den schlafenden Soldaten,
Und steckte heimlich in die Tasch'
Jedwedem einen Dukaten.
Er sprach mit schmunzeldem Gesicht,
Als ich ihn ansah verwundert:
"Ich zähle einen Dukaten per Mann
Als Sold nach jedem Jahrhundert."
Im Saale, wo die Pferde stehn
In langen, schweigenden Reihen,
Da rieb der Kaiser sich die Händ',
Schien sonderbar sich zu freuen.
Er zählte die Gäule, Stück vor Stück,
Und klatschelte ihnen die Rippen;
Er zählte und zählte, mit ängstlicher Hast
Bewegten sich seine Lippen.
"Das ist noch nicht die rechte Zahl"--
Sprach er zuletzt verdrossen--
"Soldaten und Waffen hab ich genug,
Doch fehlt es noch an Rossen.
Roßkämme hab ich ausgeschickt
In alle Welt, die kaufen
Für mich die besten Pferde ein,
Hab schon einen guten Haufen.
Ich warte, bis die Zahl komplett,
Dann schlag ich los und befreie
Mein Vaterland, mein deutsches Volk,,
Das meiner harret mit Treue."
So sprach der Kaiser, ich aber rief:
Schlag los, du alter Geselle,
Schlag los, und hast du nicht Pferde genug,
Nimm Esel an ihre Stelle.
Der Rotbart erwiderte lächelnd: "Es hat
Mit dem Schlagen gar keine Eile,
Man baute nicht Rom an einem Tag,
Gut Ding will haben Weile.
Wer heute nicht kommt, kommt morgen gewiß,
Nur langsam wächst die Eiche,
Und chi va piano va sano, so heißt
Das Sprichwort im römischen Reiche."
Kaput XVI
Das Stoßen des Wagens weckte mich auf,
Doch sanken die Augenlider
Bald wieder zu, und ich entschlief
Und träumte von Rotbart wieder.
Ging wieder schwatzend mit ihm herum
Durch alle die hallenden Säle;
Er frug mich dies, er frug mich das,
Verlangte, daß ich erzähle.
Er hatte aus der Oberwelt
Seit vielen, vielen Jahren,
Wohl seit dem siebenjährigen Krieg,
Kein Sterbenswort erfahren.
Er frug nach Moses Mendelssohn,
Nach der Karschin, mit Intresse
Frug er nach Gräfin Dubarry,
Des fünfzehnten Ludwigs Mätresse.
O Kaiser, rief ich, wie bist du zurück!
Der Moses ist längst gestorben,
Nebst seiner Rebekka, auch Abraham,
Der Sohn ist gestorben, verdorben.
Der Abraham hatte mit Lea erzeugt
Ein Bübchen, Felix heißt er,
Der brachte es weit im Christentum,
Ist schon Kapellenmeister.
Die alte Karschin ist gleichfalls tot,
Auch die Tochter ist tot, die Klenke;
Helmine Chézy, die Enkelin,
Ist noch am Leben, ich denke.
Die Dubarry lebte lustig und flott,
So lange Ludwig regierte,
Der Fünfzehnte nämlich, sie war schon alt,
Als man sie guillotinierte.
Der König Ludwig der Fünfzehnte starb
Ganz ruhig in seinem Bette,
Der sechszehnte aber ward guillotiniert
Mit der Königin Antoinette.
Die Königin zeigte großen Mut,
Ganz wie es sich gebührte,
Die Dubarry aber weinte und schrie,
Als man sie guillotinierte. -- --
Der Kaiser blieb plötzlich stille stehn,
Und sah mich an mit den stieren
Augen und sprach: Um Gotteswill'n,
Was ist das, guillotinieren?"
Das Guillotinieren -- erklärte ich ihm --
Ist eine neue Methode,
Womit man die Leute jeglichen Stands
Vom Leben bringt zu Tode.
Bei dieser Methode bedient man sich
Auch einer neuen Maschine,
Die hat erfunden Herr Guillotin,
Drum nennt man sie Guillotine.
Du wirst hier an ein Brett geschnallt --
Das senkt sich -- du wirst geschoben
Geschwinde zwischen zwei Pfosten -- es hängt
Ein dreieckig Beil ganz oben --
Man zieht eine Schnur, dann schießt herab
Das Beil, ganz lustig und munter --
Bei dieser Gelegenheit fällt dein Kopf
In einen Sack hinunter.
Der Kaiser fiel mir in die Red':
"Schweig still, von deiner Maschine
Will ich nichts wissen, Gott bewahr,
Daß ich mich ihrer bediene!
Der König und die Königin!
Geschnallt! an einem Brette!
Das ist ja gegen allen Respekt
Und alle Etikette!
Und du, wer bist du, daß du es wagst,
Mich so vertraulich zu duzen?
Warte, du Bürschchen, ich werde dir schon
Die kecken Flügel stutzen!
Es regt mir die innerste Galle auf,
Wenn ich dich höre sprechen,
Dein Odem schon ist Hochverrat
Und Majestitätsverbrchen!"
Als solchermaßen in Eifer geriet
Der Alte und sonder Schranken
Und Schonung mich anschnob, da platzen heraus
Auch mir die geheimsten Gedanken.
Herr Rotbart -- rief ich laut -- du bist
Ein altes Fabelwesen,
Geh, leg dich schlafen, wir werden uns
Auch ohne dich erlösen.
Die Republikaner lachen uns aus,
Sehn sie an unserer Spitze
So ein Gespenst mit Zepter und Kron';
Sie rissen schlechte Witze.
Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,
Die altdeutschen Narren verdarben
Mir schon in der Burschenschaft die Lust
An den schwarz-rot-goldnen Farben.
Das beste wäre, du bliebest zu Haus,
Hier in dem alten Kyffhäuser --
Bedenk ich die Sache ganz genau,
So brauchen wir gar keinen Kaiser.


Karl Kraus (1874-1936)

Kyffhäuser -- Kaufhäuser.


Hans Christian Andersen (1805-1875)

Holger Danske

In Dänemark gibt es ein altes Schloß, das heißt Kronborg, es liegt unmittelbar am Öresund, wo die großen Schiffe täglich zu Hunderten vorbeifahren, englische wie auch russische und preußische; und sie grüßen das alte Schloß mit Kanonen: "Bumm!" und das Schloß antwortet wieder mit Kanonen: "Bumm!" denn so sagen die Kanonen "Guten Tag" -- Vielen Dank" -- Im Winter fahren dort keine Schiffe, dann ist alles bis ganz zur schwedischen Küste hinüber Eis, aber es ist geradezu eine richtige Landstraße, dort weht die dänische Flagge und die schwedische Flagge, und Dänen und Schweden sagen zueinander: "Guten Tag! -- Vielen Dank!" Aber nicht mit Kanonen, nein, mit freundlichem Händedruck, und der eine holt Weizenbrot und Brezeln beim anderen, denn fremdes Essen schmeckt besser. Aber das Prachtstück vom Ganzen ist doch das alte Kronborg, und darunter sitzt im tiefen, dunklen Keller, wo niemand hinkommt, Holger Danske, er ist in Eisen und Stahl gekleidet und stützt seinen Kopf auf die starken Arme; sein langer Bart hängt über den Marmortisch, in dem er festgewachsen ist, der Ritter schläft und träumt, aber im Traume sieht er alles, was oben in Dänemark geschieht. An jedem Heiligabend kommt ein Engel Gottes und sagt ihm, daß das, was er geträumt habe, richtig sei und daß er ruhig weiterschlafen könne, denn Dänemark sei noch in keiner wirklichen Gefahr! Kommt es aber in so eine Gefahr, ja, dann wird sich der alte Holger Danske erheben, so daß der Tisch birst, wenn er den Bart herauszieht! Dann kommt er hervor und schlägt zu, daß es in allen Ländern der Welt zu hören ist.



Stand: 19. November 1999